Montag, 12. November 2012

Welche Wandlung der Pferdeseele!

Mai 1991
Ich hatte seit einiger Zeit Probleme mit dem Verhalten meines spanischen Hengstes Amigo. Er war ja ein ganz lieber Kerl, allerdings war er Fremden gegenüber sehr mißtrauisch und er verteidigte sein Box mit angelegten Ohren, wenn ihm jemand zu nahe kam. Was mußte er erlebt haben, das ihn so prägte, bevor ich ihn 8jährig kaufte. Erfahren hatte ich nicht viel, alle Angaben waren falsch, Ausbildung, Gesundheit, Wesen - nichts stimmte. Aber er war mein erstes eigenes Pferd und ich war ja so "gescheit", ich brauchte keine Hilfe, keine Beratung, als ich ihn in Norddeutschland zu einem total überhöhten Preis kaufte. Beim Probereiten sah ich gleich, daß da einiges der Angaben nicht stimmte - na das lerne ich ihm halt, so dachte ich. Aber ich wollte unbedingt einen "Andalusier", es grassierte in Südeuropa gerade die Pferdepest, und "mein" ausgesuchtes gefundenes Pferd konnte Spanien auf legalem Weg nicht  verlassen - Schade. Deshalb mußte unbedingt jetzt sofort ein Pferd her. Nicht irgendein Pferd, nein es mußte ein Andalusierhengst sein. Obwohl bei einer kleinen Ankaufsuntersuchung nicht alles o.k. war, ließ ich mich nicht davon abhalten, "das kriege ich schon in Griff", so dachte ich mir. Erfahrung hatte ich nicht viel, dafür aber viel Selbstvertrauen. Aber so ist es halt immer im Leben. Je weniger man weiß - umsomehr glaubt man zu wissen und umsomehr man weiß - wird einem klar - daß man gar nicht viel weiß.
Mir gegenüber war er ziemlich zivilisiert, das einzige, wenn ich ihn berühren wollte - schnappte er in Richtung meiner Hand. Er hat mich nie gebissen, aber er zeigte mir ziemlich deutlich, daß er von Berührungen nicht viel hielt.
Sein Verhalten anderen Pferden gegenüber wurde immer extremer und als ich nicht mehr ein und aus mußte - sogar an einen Verkauf dachte - entschloss ich mich schweren Herzens ihn kastrieren zu lassen.
Bei der Operation, die damals noch im Freien unter nicht sehr sauberen Bedingungen geschah, wurde es dann gleich offenbar. Seine Hoden und seine Nebenhoden waren mit Krebsgeschwüren behaftet. Die Befundung bestätigte ja er hatte Krebs. Daher sein agressives Verhalten anderen Pferden gegenüber.
Die ersten Tage waren nicht leicht. Er mußte 2 Tage lang angebunden in der Box stehen, durfte sich nicht hinlegen, nicht bewegen. Gerade in dieser Zeit - ich stand vorübergehend in einem kleinen Privatstall - war Turnier und alle waren ausgeflogen. Ganz mutterseelenalleine stand mein Amigo in der Box und verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich wollte ich an diesem Tag - es war ein Samstag, mit ein paar Arbeitskollegen nach Ampflwang zu einem Isländer-Ausritt fahren. Ganz bald in der Früh - sodaß ich rechtzeitig zum Ausflug wieder zurück war - fuhr ich zu meinem Pferd um nach ihm zu sehen. Ich fühlte gleich wie unglücklich und arm er sich fühlte, mein kleiner Hengst, der nun keiner mehr war. Er war so froh als er mich sah und als ich aus dem Stall ging wieherte er mir ganz verzweifelt nach. Ich wußte - heute braucht er mich - und ich erklärte ihm ganz schnell - zu dieser Zeit gab es noch keine Handys - daß ich ihn noch 1 Stunde verlassen mußte, aber dann wollte ich ganz für ihn da sein. Also fuhr ich die ca. 20 km nach Linz, um der versammelten Truppe mitzuteilen, daß sie ohne mich zum Ausritt fahren mußten und düste gleich wieder zu meinem Amigo. Wie froh war er mich wieder zu sehen. Ich stand ganz nah bei ihm und plötzlich hatte ich das ganz starke Gefühl: Jetzt soll ich ihn am Kopf angreifen. Ich tat es und es passierte etwas ganz Neues, Schönes, Wunderbares. Er ließ es zu ohne seine abwehrende zur Hand hinschnappende Bewegung zu machen. Ich konnte es nicht fassen und die Tränen der Rührung liefen über meine Wangen. Mein geliebtes Pferd wollte sich angreifen, berühren lassen, ja er suchte meine Nähe und war glücklich, daß ich neben ihm stand. An diesem besagten Samstag stand ich 8 Stunden neben meinem Pferd, sprach mit ihm und streichelte seinen Kopf, seinen Hals, seinen Körper. Wenn ich mal kurz raus ging um die Toilette aufzusuchen, wieherte er mir ununterbrochen nach bis ich wieder bei ihm stand. Dieser Tag hat sehr vieles verändert. Nicht nur daß der Krebs aus seinem Körper war, auch seine Beziehung zu mir hat sich total verändert. Wir hatten noch einige schöne Jahre bevor er aus gesundheitlichen Gründen mit 15 Jahren aus dem Leben scheiden mußte.