Freitag, 26. August 2011

Heute hat mir Pluto ein wunderbares Geschenk gemacht




Mittwoch, 23. Februar 2000
Heute hat mir Pluto ein wunderbares Geschenk gemacht.
Das größte und schönste Gefühl, das ein guter Reiter erleben kann, ist das des Fliegens. Schon Xenophon 430 – 354 v. Chr. sagte: „Denn wenn jemand sich wünschen würde, fliegen zu können, so gibt es nichts unter den menschlichen Dingen, was diesem näher käme als das Reiten.“
Läuft ein Pferd unter Einsatz all seiner Muskelkraft von 500 bis 600 kg mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 kmh, berührt es mit den Hufen nur mehr Zehntelsekunden den Boden und man hat das Gefühl vom Boden abgehoben zu haben und zu fliegen.
Ein Wahnsinnsgefühl ist dieser Start. Mit 2 Galoppsprüngen in 2 Sekunden zur Höchstgeschwindigkeit, kaum eine vom Menschen erdachte Technik hat solch eine Beschleunigung. Wenn Du im Auto oder Flieger sitzt, trittst das Gaspedal durch, der Turbo schaltet zu, die Fliehkraft drückt dich in den Sitz, das alles ist nur ein armseliger Vergleich zur vollen Beschleunigung im Galopp in voller Karriere (=höchstes Tempo).
Heute hat mir Pluto gezeigt, daß er noch dazu fähig ist.
In letzter Zeit merkte ich, das Frühjahr naht, die Hormone meines geliebten Hengstes meldeten sich mit Vehemenz. Bewegungslust, eingesperrt von Gehorsam, Tatendrang gebremst von schwierigen Dressurlektionen, doch heute  machten wir das, was ich längst schon fühlte. Ein Ausritt sollte Abwechslung bringen.
Am Weg, vom Stall weg, gleich bei den Koppeln, zeigte er mir deutlich sein unbändiges Verlangen. Noch im Schritt, zog er an den Zügeln, schüttelte wild seinen Kopf, machte seinen Rücken rund und setzte zum Buckeln an, unter anderem ein Zeichen geballter Energie und Lebensfreude. Deutlich sagte ich ihm, daß er sich gefälligst benehmen solle, und war dabei heilfroh den spanischen Sattel genommen zu haben. Bei dem konnte man fast nicht herunterfallen, der gibt vorne und hinten Halt, dazu die „Kohlenschaufeln“, breite kastenförmige Steigbügel, in denen der ganzen Fuß Platz und Stütze hat.
Heute hat mich Pluto an seiner Lebensfreude teilhaben lassen.
Ich wußte, heute muß ich in die Au reiten, da gibt es keinen Straßenverkehr, kaum Spaziergänger, und viel, viel Platz. Der Boden ist gut für die Pferde, auch für höheres Tempo.
Es war nicht leicht, ihn ruhig durch die Siedlung zu reiten, immer wieder probierte er anzutraben. Laß dir Zeit! Die Muskeln, Sehnen, Gelenke brauchen 15 – 20 Min. um richtig warm zu werden, die Gelenksschmiere kann dann die Gelenke und Knorpel versorgen, ohne der es schnell Verletzungen und Schäden gibt. Pluto ist ja bald 26, ein biblisches Alter für Reitpferde, hat schon etliche Wehwechen wie Arthrosen, Spat, na ja, ein alter Herr halt. Nur sein Herz ist jung, sehr jung sogar.
Unter der Eisenbahnbrücke durch, noch immer im Schritt. Kurzer Halt, ein Lauschen, ob ein Zug kommt. Wenn man nämlich unter der Brücke ist, und er  braust mit ohrenbetäubenden Rattern drüber, bringt er sogar die selbstbewußtesten Pferde in Panik, wenn sich das Ungeheuer mit Gebrüll von oben auf sie zu werfen droht.
Heute hat mich Pluto an seiner Energie teilnehmen lassen.
Endlich lag die Au vor uns. Menschenleer, keine Radfahrer am Damm unterwegs, der an sonnigen, warmen Tagen stark frequentiert wird.
Ein erstes Antraben zum warmwerden. Munter hob Pluto seine Beine, wollte das Tempo forcieren. Nein, nein, jetzt noch nicht, bring erst deinen Körper in Schwung, mach ihn geschmeidig, sagten meine Hände und Füße, meine beruhigende Stimme zu ihm. Gehorsam versuchte er sein Verlangen zu zügeln. Seine Energie durchflutete meinen Körper und schenkten mir Kraft und Glücklich sein.
Da kam eine gemähte Wiesenstrecke in Sicht. Wir galoppierten an, er ging in einem ruhigen, ausgeglichenen, runden Galopp, den ich in den letzten 3 Jahren so gut kennen gelernt habe. Noch nie wollte er laufen, noch nie seine Kraft einsetzen, noch nie den Rausch der Geschwindigkeit kosten. Na ja, er ist halt schon ein altes Pferd, hat seine gesundheitlichen Einschränkungen, er kann und will halt nicht mehr, so dachte ich, es ist o.k.. Doch heute fühlte ich, wir beide wollen es.
Und jetzt hat mich Pluto in die Lüfte gehoben.
Nach ein paar Sprüngen fragte er an. Vorsichtig ging er ans Gebiß und wartete. Keine Parade von mir sagte ihm, laß es sein. Da verlängerte er seine Sprünge, und ich merkte, jetzt geht´s los. Ich gab ihm den Kopf frei, und binnen dem Bruchteil einer Sekunde reagierte er. Wie eine Raubkatze auf Beutefang fraß er mit 5 m Sätzen den Boden, wurde niedriger und flacher. Unser gemeinsames Gleichgewicht riß mich mit ihm fort. Die weit geblähten Nüstern sogen den Sauerstoff in  die riesigen Lungen. Der Wind pfiff in meinen Ohren, trieb mir das Wasser in die Augen, sodaß ich davon fast blind wurde. Seine Hufe schleuderten Erdklumpen viele Meter hoch in die Luft. Der Dreitakt des Galopps ging von einem Ta-Ta-Tam, Ta-Ta-Tam, in ein Stakkato über, Ta-Tam, Ta-Tam, Ta-Tam.
Jetzt fliegen wir! JETZT FLIEGEN WIR!
Ein Hochgefühl überkam mich, das sich so schnell mit nichts vergleichen läßt. Er lief mit all seiner Kraft von 520 kg, und wir waren ein gemeinsames Wesen im Rausch der Geschwindigkeit. Dieses Einssein, dieses Muskelspiel, das man unter sich spürt ist einzigartig.
Jetzt habe ich keine kranken Muskeln mehr, jetzt fühle ich keine Schwäche in meinem Körper, jetzt merke ich keine Bewegungseinschränkungen, jetzt spüre ich keine Unsicherheit, jetzt bin ich mit ihm ein Wesen voll Wildheit und zugleich Harmonie, ein Wesen aus einer anderen Dimension.
Danke Pluto!

Auch mit 26 Jahren zeigt er mit Begeisterung noch die Pesade















2 Kommentare:

  1. Ich finde es total schön! In deinen Geschichten versinke ich total und fühle mich als wäre ich mitten drinen....
    Freue mich schon auf die nächste Geschichte!!!

    Echt toll !

    Liebe Grüße Nadja

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  2. So schön, ich bin fast mitgeflogen beim Lesen. Jetzt warte ich noch ungeduldiger auf den Tag an dem ich mich mit Lolle in Freiheit so eins fühlen darf. Bussis, Jona

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